Alexander I.
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- Kategorie: Russland
- Veröffentlicht: Sonntag, 25. August 2013 15:20
- Geschrieben von Caulaincourt
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Alexander I. Paulowitsch, Kaiser und Selbstherrscher aller Reußen, geb.  23. (11.) Dez. 1777 zu Petersburg als ältester Sohn des Großfürsten Paul  und seiner zweiten Gemahlin, Maria Feodorowna von Württemberg, ward  unter der Leitung des freisinnigen Schweizers Laharpe nach Rousseauschen  Grundsätzen erzogen. 
Die Einzelheiten seiner Ausbildung  überwachte mit mütterlicher Sorgfalt Katharina II. Dennoch blieb  dieselbe oberflächlich. Weich und sentimental, zeigte sich A.  wohlwollend und für Ideale begeistert, aber auch schwach und  unbeständig. Schon 1793 wurde er mit der Prinzessin Elisabeth von Baden  vermählt. Zwei Töchter aus dieser Ehe starben als Kinder. 
Sein  Vater Paul I., seit 1796 Zar, behandelte ihn mißtrauisch und  willkürlich. Als er durch dessen Ermordung 24. März 1801 auf den Thron  gelangte, war er, obwohl er von dem Mord weder gewußt, noch ihn  gebilligt hatte, doch anfangs von Rücksichten auf die Mörder Subow,  Pahlen und Bennigsen abhängig. 
Später erlangte das sogen.  Triumvirat, Stroganow, Nowossilzow und Adam Czartoryiski, den  bedeutendsten Einfluß auf ihn. Seiner Persönlichkeit entsprechend, war  sein Bemühen vornehmlich auf die innere Entwickelung Rußlands gerichtet.  In der ersten Hälfte seiner Regierung, namentlich während der ersten  Jahre, war er eifrig bestrebt, das Finanzwesen seines Reichs zu ordnen,  die geistige Bildung zu fördern und das harte Los der Leibeignen zu  mildern. 
Esthland, Livland und Kurland verdanken ihm die  Aufhebung der Leibeigenschaft und die Einführung einer mit dem Institut  der Gemeindegerichte verbundenen Bauernordnung. Leibeigne zum Verkauf  auszustellen oder in den Zeitungen auszubieten, wurde verboten, die  Freilassung derselben und ihre Ansiedelung in den Städten erleichtert.  Um diesen und andern Reformen seine Sorgfalt zuwenden zu können, war A.  anfangs bemüht, kriegerische Einmischung in die europäischen  Angelegenheiten zu vermeiden. 
Bereits 1802 schloß er mit dem  jungen König von Preußen einen herzlichen Freundschaftsbund  (Zusammenkunft in Memel, Juni 1802), dem beide bis an ihr Lebensende  treu geblieben sind. Gleichzeitig trat A. mit Bonaparte, damaligem  Ersten Konsul der französischen Republik, in enge politische  Beziehungen, um die Angelegenheiten Europas nach gemeinsamem  Einverständnis friedlich zu leiten. A. mußte sich aber bald überzeugen,  daß diese Bundesgenossenschaft nur dazu diente, die Machtstellung  Frankreichs zu erhöhen. Es kam deshalb bereits 1804 zum vollständigen  Bruch. A. unterstützte 1805 Österreich, trat aber nach der Schlacht bei  Austerlitz vom Bund gegen Napoleon zurück, um den Kampf 1807 zu gunsten  Preußens zu erneuern, freilich erst, als sein Verbündeter den größten  Teil seiner Monarchie bereits verloren hatte. 
Als die  preußischen und russischen Truppen bis über die Memel zurückgedrängt  waren, vermittelte A. den Frieden von Tilsit. Dem Abschluß desselben  ging die berühmte Zusammenkunft des russischen und des französischen  Kaisers 25. Juni (in einem auf zwei Flößen in der Mitte des Niemen  erbauten Pavillon) voraus, und A., der für Napoleons glänzende  persönliche Eigenschaften die größte Bewunderung hegte, ließ sich von  demselben zum zweitenmal für den Gedanken einer gemeinsamen Leitung der  europäischen Angelegenheiten gewinnen. 
Bei der Zusammenkunft in  Erfurt (Oktober 1808) wurde der Bund erneuert und A. der Besitz der  Türkei versprochen, gegen die er sofort einen glücklichen Krieg begann. 
Bei  den weit auseinander gehenden Interessen der beiden Staaten dauerte  indes diese Eintracht nicht lange, und 1812 kam es von neuem zum Bruch.  Anfangs schien auch Rußland dem gewaltigen Imperator unterliegen zu  müssen, und nach der Einnahme von Moskau verzweifelte A. fast an der  Fortführung des Kriegs. Indessen gelang es dem ungebrochenen Mute des  Freiherrn vom Stein, ihn umzustimmen und seine Begeisterung anzufachen.  Er erklärte, die Waffen nicht niederlegen zu wollen, ehe Napoleon  gestürzt sei. Die Friedensanerbietungen desselben wurden zurückgewiesen,  der religiöse und nationale Fanatismus der Russen wachgerufen und das  mehr dem Hunger und der Kälte als den Waffen weichende französische Heer  auf seinem Rückzug hart bedrängt und fast vernichtet. 
Alexanders  Entschluß für die Fortführung des Kriegs beförderte die Erhebung  Deutschlands, die ohne seine Unterstützung kaum möglich gewesen wäre. In  den Befreiungskriegen übte A. als der mächtigste unter den verbündeten  Herrschern einen sehr großen Einfluß aus, sowohl auf die militärischen  Operationen als auf die schonende Behandlung Frankreichs und auf die  Rückführung der Bourbonen. 
Beim Wiener Kongreß war er für die  Eintracht unter den Fürsten und für die Herstellung einer festen Ordnung  unermüdlich thätig. Damals hatten die liberalen Ansichten Einfluß auf  ihn, und im Sinn derselben suchte er persönlich und durch den Freiherrn  vom Stein auf die Regelung der deutschen Verhältnisse durch die Wiener  Schlußakte zu wirken. 
Auch setzte er durch, daß die Neutralität  der Schweiz anerkannt wurde, und verschaffte den Jonischen Inseln  republikanische Selbständigkeit. In gleichem Sinn gab er Polen, das ihm  durch die Entscheidung des Wiener Kongresses zugefallen war, eine  freisinnige Verfassung. Unter dem Einfluß der großen Begebenheiten  dieser Zeit und auf Anregung der ihn damals in ihre Mystik ziehenden  Juliane v. Krüdener entstand bei dem christlich-frommen Kaiser zuerst  die Idee der Heiligen Allianz, durch deren Verwirklichung er den Frieden  der Welt auf einer von den Seitherigen politischen Bündnissen weit  abweichenden Grundlage festzustellen trachtete, welche aber nur die  Handhabe für die politische Reaktion wurde und, statt die Gemüter zu  beruhigen, die Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung nur noch  steigerte. 
A., dadurch erschreckt und, wie es scheint, durch  böswillige Einflüsterungen gegen die Völker mit Mißtrauen erfüllt,  versuchte mit andern Fürsten gewaltsame Gegenmittel. Man beriet und  beschloß in diesem Sinn auf den Kongressen zu Troppau, Laibach und  Verona, und A. bot willig die Hand, mit den Aufständen auch den  politischen Fortschritt der Völker zu unterdrücken. 
In Rußland  wurden die Zensur und die strengste Überwachung der Büchereinfuhr wieder  eingeführt, die Wissenschaft, Litteratur und der Unterricht gefesselt,  Untersuchungen wegen demagogischer Umtriebe eingeleitet, die  Freimaurerlogen und Missionsgesellschaften unterdrückt und allmählich  alle Pläne für Reform und Fortbildung aufgegeben. 
Über das ganze  Reich breitete sich das Netz einer offenen und geheimen Polizei, welche  allen Verkehr hemmte. Die Erfahrung, daß durch alle diese Maßregeln der  Geist des Widerstandes sich nicht bannen ließ, verbitterte das  krankhaft erregte Gemüt des Kaisers, der teils in den Zerstreuungen  eines glänzenden, üppig-frömmelnden Hofs, teils in religiöser Mystik  Zerstreuung und Befriedigung suchte. 
Die Entwickelung des  griechischen Aufstandes brachte zugleich die Politik des Kaisers in  schreienden Widerspruch mit der öffentlichen Meinung. Sein Volk war den  Glaubensverwandten zugethan; A. aber mißbilligte den Aufstand der  Hellenen, weil er darin nur eine Auflehnung gegen ihren rechtmäßigen  Oberherrn erblickte. 
Der Tod seiner einzigen, heißgeliebten  natürlichen Tochter, die furchtbare Überschwemmung, die 1824 Petersburg  heimsuchte, endlich die Furcht vor einer russisch-polnischen  Verschwörung gegen das Haus Romanow trugen nicht wenig dazu bei, das  Herz des Kaisers zu brechen. Körperlich leidend, verdüsterten Gemüts und  voll Todesgedanken trat er Mitte September 1825 mit seiner kranken  Gemahlin eine Reise in die Krim an, wo er von einem der Halbinsel  eigentümlichen Fieber ergriffen wurde. 
Über seinen Zustand  besorgt, ließ er sich nach Taganrog bringen und starb 1. Dez. (19. Nov.)  1825 in diesem fernen Winkel des Reichs. 
Die Macht Rußlands  stieg unter A. zu einer gewaltigen Höhe. Der Wiener Friede und sehr  glücklich beendete Kriege gegen Schweden, Persien und die Türkei führten  zur Erwerbung des Königreichs Polen, Bialystoks, Finnlands, Grusiens,  Schirwans und Bessarabiens mit zusammen etwa 10 Mill. Einw. 
Fast  wichtiger noch waren die innere Erstarkung Rußlands und der Einfluß,  den es auf die Angelegenheiten Europas gewann. Unter den vielen  Denkmälern, die Alexanders Andenken in Rußland verewigen, ist besonders  die großartige, 1832 auf dem Schloßplatz in Petersburg aufgestellte  Alexandersäule zu erwähnen. 
Vgl. Comtesse Choiseul-Gouffier,  Mémoires historiques sur l'empereur Alexandre et la cour de Russie (Par.  1829); Dieselbe, Reminiscences sur l'empereur Alexandre I (Besançon  1862); Bogdanowitsch, Geschichte der Regierang des Kaisers A. (russisch,  Petersb. 1869, 4 Bde.); Golowin, Histoire d'Alexandre I (Leipz. 1859);  Joynville, Life and times of A. I. (Lond. 1875, 3 Bde.).
Meyers Konversationslexikon von 1888
www.meyers-konversationslexikon.de
