Ia. Das Rohr und seine Nomenklatur

Ia. Das Rohr und seine Nomenklatur

Eine Vorderladerkanone ist eine dickwandige eiserne oder bronzene, hinten abgeschlossene Röhre. Die Wandungen eines Kanonenrohrs sind nicht über die ganze Länge gleichmäßig , sondern an einigen Stellen verstärkt. Die Wandstärke des Bodenfeldes ist größer, weil sich hier im Rohrinneren die Explosion der Treibladung ereignet, der Kopffries ist eine Verstärkung, welche die Rohrmündung vor Beschädigung durch die austretenden Explosionsgase bewahren soll.

Die waagerecht ans Rohr angegossenen Schildzapfen befinden sich etwas näher am Boden als am Kopf der Kanone. Mit seinen Schildzapfen wird das Rohr auf dem Rapert bzw. der Lafette gelagert. Die Schildzapfen sind so angebracht, daß der hintere Teil der Kanone etwas schwerer ist, sollte aber so ausbalanciert sein, daß die Höhenrichtung mit geringstmöglichem Aufwand zu verändern ist.

Entscheidend für die Proportionierung der Kanonen ist das Maß des Kaliberdurchmessers. Die Länge des Rohrs wird durch eine bestimmte Anzahl von Kaliberdurchmessern bemessen, ebenso die Wandstärken des Rohrs oder der Durchmesser der Schildzapfen usw.
Die Bohrung des Rohrs ist zylindrisch und heißt "Seele". Sie war bei Vorderladerkanonen bis weit ins 19. Jhdt. hinein glatt, d.h. das Rohr besaß keine eingeschnittenen Züge, die dem Geschoß einen Drall verliehen, wie es bei Handfeuerwaffen schon länger bekannt war. Von entscheidender Bedeutung für die Schußgenauigkeit der Kanone ist die präzise mittige Lage der Seelenachse. Die Bohrung hat einen größeren Durchmesser als das für die Kanone vorgesehene Geschoß. Die Differenz nennt man "Spiel". Im 18. Jhdt. war dieses noch vergleichsweise groß, was eine Minderung der Geschoßgeschwindigkeit bedeutete, weil ein größerer Teil der Explosionsgase ungenutzt entwich.

Der Begriff "Vorderlader" ergibt sich aus der Notwendigkeit, Rohre der geschilderten Form von vorne zu laden, d.h. zunächst die Treibladung und danach das Geschoß einzuführen. Gezündet wird die Treibladung durch das Zündloch im Bodenfeld, am Ende der Seele.
Manche Kanonen und andere Geschütze besitzen Kammern. Das sind zylindrische oder halbkugelförmige Aufnahmen für die Treibladung im Boden des Geschützes. Sie besitzen einen geringeren Durchmesser als die Seelenbohrung.
Die französischen Marinekanonen 1786. Von oben nach unten: 36-Pfünder, 24-Pfünder, 18-Pfünder, 12-Pfünder, 8-Pfünder lang, 8-Pfünder kurz, 6-Pfünder lang, 6-Pfünder kurz, 4-Pfünder lang, 4-Pfünder kurz.
Die glatte Vorderladerkanone war die wichtigste Schiffswaffe bis zur Mitte des 19. Jhdts. Obwohl es zahlreiche schrittweise Verbesserungen gab, ähnelten sich Kanonen und Lafetten vom 17. bis zum Beginn des 19. Jhdts stark. Bereits im 17. Jhdt war der Großteil der Schiffskanonen aus Gußeisen, obwohl dieses Material für Geschütze gegenüber Bronze Nachteile besaß. Eiserne Kanonen benötigten etwas größere Wandstärken, so daß sie trotz der höheren Dichte von Bronze schwerer waren als entsprechende Kanonen aus diesem Material. Eiserne Kanonen neigten aufgrund der Sprödigkeit des Materials zum Zerspringen, ganz zu schweigen von der Korrosion, zudem läßt sich Eisen schlechter bohren als Bronze. Der entscheidende Vorteil des Gußeisens war der verhältnismäßig geringe Preis. 1670 waren die 74 bronzenen Kanonen der britischen HENRY 20250 Pfund wert, die 70 Kanonen der EDGAR hingegen nur 2016 Pfund. Im späten 18. Jhdt. betrug der Preis eines bronzenen Kanonenrohrs das Sieben- bis Achtfache dessen, was für ein eisernes gleichen Kalibers bezahlt werden mußte.

Bronzekanonen waren Ende des 17. Jhdts. in der englischen Marine nur auf Prestigeschiffen wie Linienschiffen 1. Ranges oder königlichen Jachten zu finden, jedoch war es aus Kostengründen nicht möglich auch nur die Schiffe 1. Ranges vollständig mit Bronzerohren auszurüsten. 1717 gab es in der britischen Marine nur noch auf drei Schiffen 1. Ranges Bronzekanonen. Als 1782 die Royal George (gebaut 1756) unterging, war sie anscheinend das letzte Schiff der Royal Navy mit einer weitgehenden, aber nicht vollständigen Bestückung von Bronzerohren. Ihre Unterbatterie-42-Pfünder bestand aus erbeuteten und aufgebohrte französische 36-Pfünder (weil das frz. Pfund schwerer war als das britische, lag der Kaliberdurchmesser dicht am britischen 42-Pfünder). Entgegen mancher Vermutungen hat die berühmte Victory von 1765 wohl niemals in ihrem Dasein bronzene Kanonen an Bord gehabt.

Im 18. Jhdt waren die Niederlande, Schweden und England die Zentren des Eisengeschützgusses. Owohl es auch in diesen Ländern zu gewissen Zeiten Probleme mit der Qualität gab, blieben französische eiserne Geschütze längerfristig dafür berüchtigt, minderwertig zu sein. Wesentliche Entwicklungen in der Technik des Geschützgusses gingen von England aus, so daß u.a. Preußen, Rußland und sogar Frankreich beim Ausbau ihrer Kapazitäten auf britische Fachleute zurückgriffen.

Kanonen wurden nach dem Gewicht der eisernen Vollkugel bezeichnet, welche sie verschossen. In den Marinen der verschiedenen Nationen bildeten sich ähnliche Kanonengrößen heraus, jedoch waren die Pfunde national verschieden - ein französischer 24-Pfünder verschoß eine größere, schwerere Kugel als ein britischer 24-Pfünder.

Gebräuchliche Kaliber in der 2. Hälfe des 18. Jhdts waren:

Großbritannien: 42, 32, 24, 18, 12, 9, 6, 4, 3 engl. Pfund Kugelgewicht
Frankreich: 48, 36, 24, 18, 12, 8, 6, 4 frz. Pfund
Schweden: 36, 24, 18, 12, 8, 6, 4, 3 schwed. Pfund

Bei vielen Kalibern gab es zwei oder drei verschiedene Rohrlängen. Die letzten britischen 42-Pfünder, die in den Unterbatterien von Dreideckern ersten Ranges aufgestellt waren, wurden gegen Ende des Jahrhunderts wegen ihrer Schwerfälligkeit durch 32-Pfünder ersetzt, die bereits seit längerer Zeit das wichtigste Linienschiffsgeschütz waren. Unter den ab 1787 gegossenen neuen französischen Mustern gab es keine 48-Pfünder mehr. Noch 1780 aber hatte man aber einige bronzene 18-Pfünder und 48-Pfünder gegossen. Letztere waren als Bewaffnung für zwei 110-Kanonen-Schiffe gedacht.

Am anderen Ende der Skala verschwand bis zum Ende des 18. Jhdts noch vor dem 4-Pfünder der 3-Pfünder weitgehend aus den britischen Schiffsbewaffnungen, obwohl sie auf kleinen, irreguläreren Fahrzeugen der Marine (angemietete) noch nach 1800 anzutreffen waren. . Leichtere Kanonen auf den Aufbauten, zu denen dann auch schon 6- oder 9-Pfünder zu rechnen sind, wurden nach der Verbreitung der Carronaden (s.u.) oft durch diese bei gleichem oder geringerem Gewicht großkalibrigeren Geschütze ersetzt.

Das Kanonenrohr



In den Klammern folgen der englische und der französische Begriff.

Die Felder oder Stücke und Abschnitte des Rohrs:

A-E: Langes Feld (Chase. Le troisième renfort, la volée).
B-C: Hals (frz. le collet).
F-H: Mittelfeld, Zapfenfeld (Second reinforce. Le deuxième renfort).
F-G: Gurt (frz. la ceinture).
I-N: Bodenfeld, Kammerfeld (First reinforce. Le premier renfort).
M: Zündfeld (Vent field. Champ de lumiére).

Weitere Teile

O-P: Stoß (Cascable. Culasse).
P-Q: Traube (Button. Bouton).
R: Zündpfanne (Vent patch).
S: Schildzapfen (Trunnions. Tourillons).
U: Mündung (Muzzle. Bouche).

Friese und Bänder des Rohrs

A-B: Kopffries (Swell of Muzzle. Bourrelet).
C-D: Halsband (Muzzle astragal. Astragale de volée).
E-F: Mittelband (Chase astragal. Astragale de ceinture).
G : Fries des 2. Bruchs (Second reinforce ring. Platebande & Moulure du second renfort).
H-I: Fries des 1. Bruchs (First reinforce ring. Plate-bande & Moulure du premier renfort).
K-L: Kammerband (Vent astragal. Astragale de lumiére).
N-O: Hinterfries, Bodenfries (Base ring. Plate-bande & Moulure de culasse).